Boualem Sansal Tabubrecher

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Sansal
Sansal

An einen Autor, der an den Abenden vorsichtshalber zu Hause bleibt, will er sich nicht unnötigen Gefahren aussetzten; dessen Bücher in seiner Heimat nicht nur keinen Verleger finden, sondern regelrecht verboten sind. (Zit.nach RBB Titel der Sendung: “Unbekannt im eigenen Land“ von Thomas Fitzel Hörfunk Beitrag für Kulturradio RBB 15.10.11)

Lebend, in einem Land, in dem «ein zur äußersten Vorsicht ermahnter westlicher Besucher» wie zum Beispiel ein deutscher Hörfunkautor, vorsichtshalber lieber weiter bei Thomas Fitzel für rbb «die Chipkarte des Interviews» aus dem Aufnahmegerät diskret in der Hose verschwinden lässt, als der Taxifahrer, der ihn zurück bringen soll, all zu neugierige Fragen danach stellt, wo er denn herkomme, oder wer sein Freund sei?

Boualem Sansal ist ein Autor, der sich trotz alledem nicht nur dazu entschieden hat, weiter zu schreiben, sondern auch dazu, im Land zu bleiben, weil er der Überzeugung ist, dass man seine Kritik gerade zu Hause vor Ort gerade jetzt bitter nötig hat!
Ein Dorn im Auge der Machthaber – im Visier sowohl des Geheimdienstes als auch der islamischen Terroristen – schreibt er gegen Machtmissbrauch einer Diktatur ebenso vehement an wie gegen Fundamentalismus und jedweden totalitären Anspruch auf Macht.
Wenn Boualem Sansal über den «algerischen Frühling» spricht, meint er damit die Aufstände von 1988: «Wir hatten unseren Frühling und sind damit gescheitert; wir zersplitterten uns in 150 demokratische Parteien mit einem Spektrum von linksextrem bis rechtsextrem. Wir konnten uns nicht auf ein Programm einigen und unterlagen binnen weniger als drei Monaten den gut organisierten Islamisten.» (Zit. nach eigenem Interview mit Boalem Sansal von M. Dittrich-Lux Ton aufgezwichnet und Videomitschnitt A.Keddam für den Deutsch Kabylischen Freundschaftsverein (DKF) im Anschluss an die Veranstaltung am 20.10.11 im Deutschen Theater) Und genau das passiert in seinen Augen jetzt in Ägypten: die Demokratiebewegung ist zersplittert, und die Islamisten sind gut organisiert. Was in Algerien auf «diesen Frühling» im Jahr 1988 folgte, waren 15 Jahre unerbittlichen Bürgerkriegs, so Sansal. (Zit. nach eigenem Interview mit Boalem Sansal von M. Dittrich-Lux Ton aufgezeichnet A.Keddam)

Größte Befürchtungen hegt Sansal bereits jetzt: Angesichts des «arabischen Frühlings» verfolgt ihn die bange Frage, was am Ende von dem so genannten «arabischen Frühling» noch übrig bleiben wird. Von vornherein gibt er eigentlich nur der «Jasminrevolution Tunesiens und Ägyptens» überhaupt eine kleine Chance auf Demokratisierung und fürchtet, dass in allen anderen Ländern bald schon das Militär oder aber Fundamentalisten wieder dem Volk die Macht entreißen werden.
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oualem Sansal ist ein Tabubrecher, und er schreibt außerdem auf Französisch, obgleich er nicht ins Exil ging, sondern dort blieb, wo er her kommt, in Algerien. Deshalb verübeln es ihm manche, dass er nicht auf Arabisch schreibt. Doch er wurde von einer stark in der französischen Erziehungstradition stehenden Mutter und einem berber-, also nicht arabischsprachigen Vater multilingual und mit kultureller Vielfalt groß gezogen und war nicht Willens, sich noch eine zusätzliche Fremdsprache aufzwingen zu lassen.
Dies nehmen Kritiker gerne zum Anlass, ihm eine «verräterische Einstellung» und eine «Pro Kolonialmacht Frankreich-Haltung» unterstellen. Für ihn liegt jedoch der Wechsel von der Frankreich abgerungenen Herrschaft zu einer nur formalen Unabhängigkeit, die letztendlich nur eine neue, nämlich arabische Vormachtstellung gegenüber der algerischen Bevölkerung darstellt, auf ein und der selben Linie und ist nur als eine erneute Kolonialisierung anzusehen.

Die Unabhängigkeit nicht zu glorifizieren sondern zu kritisieren, ist also ein von ihm bewusst gebrochenes Tabu. Er selbst – väterlicherseits berberischer Abstammung – wehrt sich gegen die Arabisierung Algeriens und hat den Wechsel von der französischen Kolonialherrschaft zu einer arabischen Vormachtstellung nie für Demokratie gehalten oder für das, was man sich von einer Unabhängigkeitserklärung und von freien Wahlen erhoffen kann. So spricht er – ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen – nicht von der errungenen Unabhängigkeit, sondern von einem Machtwechsel.

Wie schafft es ein Mensch jedoch – umzingelt von Menschen, die ihm entweder feindlich gesonnen sind oder ihm auch nur unwissend gegenüber stehen, weil sie in «völliger Unkenntnis» seiner Werke sind, die in Algerien nicht gelesen werden dürfen – an diesem Ort weiter zu leben und zu arbeiten? «Ich schreibe gegen das tödliche Schweigen», sagt er der FAZ, und weiter: «Alles was ich noch zu verlieren habe ist mein Leben» (FAZ Zit. nach Sandra Kegel 23.09.11)

Sein Anliegen ist multikulturell, multireligiös, multisprachig. Er klagt das Recht ein auf kulturelle Eigenständigkeit der ursprünglichen Bevölkerung Nordafrikas, insbesondere auf Ausübung der Berbersprachen – auf Augenhöhe mit dem Arabischen und als gleichberechtigte Amtssprache. Er fordert Diversifikation und Demokratisierung statt Monokultur und Diktatur.

Ist es der Dorn im Fleisch, der Stachel des Widerstandes, der ihn antreibt? Ist er, dieser Stachel, sein schmerzlicher, schöpferischer Motor? Sich also dem System zum Trotz öffentlich zu seiner systemkritischen Einstellung zu bekennen? Die Initialzündung zum Schreiben war nach eigenen Aussagen die Ermordung des Präsidenten Boudiaf 1992, als Sansal gerade 50 Jahre alt geworden war, sowie die zunehmende Islamisierung. War er – ein Maschinenbau-Ingenieur und promovierter Ökonom – bis dahin noch als leitender Beamter im Industrieministerium tätig, verlor er später durch seine Schriftstellerei sein Amt: Das Schreiben führte, wie er es selbst sagt, zuerst zur Zwangsbeurlaubung und in der Folge zur endgültigen Kündigung mit allen Konsequenzen.

Nannte man ihn in Frankreich nach Erscheinen seines ersten Romans «Der Schwur der Barbaren» einen Spracherneuerer, Satiriker und Poeten, so hielt seine Heimat einen anderen Begriff für ihn bereit: Für sie war er nur ein «Nestbeschmutzer». Doch er blieb dabei! Und er zitierte in der Frankfurter Paulskirche bei der Preisverleihung Albert Camus: dass man sich, wenn man schreibt, bereits entschieden habe! (Zit. nach Ton Mitschnitt bei Preisverleihung am 16.10 11 Paulskirche Ffm)

Ein weiteres Tabu ist es, die Kämpfer des ehemaligen Unabhängigkeitskrieges Algeriens in die Nähe der Nationalsozialisten zu rücken – wie in der Figur des faschistischen Altnazis in seinem letzten Roman «Das Dorf des Deutschen». Hier legt er den Finger gerade in diese Wunde, indem er nicht nur erzählt, wie ein Altnazi auf Seiten des Front de Libération Nationale (FLN) am algerischen Bürgerkrieg beteiligt war und später völlig ungestraft zu Amt und Würden gelangt, sondern auch, welche Auswirkungen dies auf das algerische Dorf hat, in dem er wohnt und ein unbehelligtes Leben führt.

Darüber hinaus wagt es Boualem Sansal – nächster Tabubruch – eine Parallele zwischen den deutschen Faschisten und der totalitären Ideologie der algerischen Islamisten zu ziehen. In einem Interview befragt, ob dieser Vergleich nicht ein bisschen zu weit ginge, antwortet er unbeirrt: «Nach meinen Beobachtungen hat der Islamismus die Form des Faschismus», und man kommt nicht darum herum, sich genauer mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen, wenn man den Islamismus verstehen will. Zit. nach Mitschnitt vom Podiumsgespräch mit Boualem Sansal im Deutschen Theater 20.10.11Berlin Die faschistischen Züge einer fundamentalistischen Terrorbewegung aufzuzeigen, ist im heutigen Algerien ein sehr unpopulärer Standpunkt, und damit setzt sich Boualem Sansal so ziemlich nach allen Seiten – überall kräftig, wortreich und voll sprühender Rhetorik und wortgewaltiger Dichtkunst – politisch in die Nesseln.

Als Angehöriger eines Staates, der sich selbst als «arabisch und islamischen Staat» bezeichnet und versteht, ist es außerdem – und hier kommen wir schon zum nächsten Tabubruch – ein Skandal, sich zum Leid der Juden zu bekennen, was er ganz explizit in seinem Roman «Das Dorf des Deutschen» tut.

Zur den aktuellen politischen Geschehnissen in Tunesien, Ägypten und Algerien zu Beginn des Jahres 2011 hat Boualem Sansal einen Artikel veröffentlicht mit dem provokanten Titel: «Das Problem der arabischen Demokratie heißt Islam». Darin schreibt er u.a.: «Die Aufstände in Tunesien und Ägypten verdienen Respekt. Aber solange Religion und Nationalismus dominieren, besteht wenig Aussicht auf bessere Zeiten.» (DIE WELT vom 09.02.11 Boualem Sansal «Das Problem heißt Islam» aus dem Französichen von Rainer Haubrich Essay)

Wenn Sansal anschließend auf den ägyptischen Oppositionellen Mohamed El Baradei zu sprechen kommt, wird er konkreter und kritisiert Mohammed El Baradei offen hinsichtlich dessen islam(ist)ischer Orientierung: Obwohl er sich als Demokrat internationalen Zuschnitts positioniere, habe er, statt vor allem seine patriotischen und ideologischen Positionen zu betonen, als allererste öffentliche Geste auf offener Straße das gemeinsame Gebet mit den Islamisten gewählt – wobei er durchaus auch mit den Kopten in einen Gottesdienst hätte gehen oder sich in religiösen Fragen gänzlich hätte zurückhalten können. (ebd: DIE WELT vom 09.02.11 Boualem Sansal «Das Problem heißt Islam» aus dem Französichen von Rainer Haubrich Essay)

Neben der islamischen Religion sieht Sansal den arabischen Nationalismus als zweites großes Hindernis auf dem Weg zur Demokratie. Er bemerkt hierzu: «Wenn sich die Ägypter, Algerier, Tunesier endlich als Ägypter, Algerier, Tunesier definieren und nicht auch oder nur als Araber oder Muslime, dann wären sie wirklich auf dem Weg zur Demokratie. Dann könnten sie auf eine ganz natürliche Art den anderen akzeptieren, den Christen, den Juden, den Laizisten und den Fremden, der in ihrem Land lebt und heiratet» {(ebd. DIE WELT vom 09.02.11 Boualem Sansal Das Problem heißt Islam aus dem Französichen von Rainer Haubrich Essay)
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Hier wagt er die Prognose in die Zukunft: „Ich glaube allerdings, dass das größte Problem noch bevorsteht: Es wird der Moment sein, an dem sich die verschiedenen sozialen Strömungen direkt gegenüberstehen: Islamisten, Christen, Nationalisten, Demokraten, Arbeitslose, Gewerkschaften, Armee, Bourgeoisie. Wird es ihnen gelingen, einen Dialog untereinander zu führen und ein gemeinsames Projekt zustande zu bringen? Oder werden sie einen Krieg beginnen, ein jeder, um sein eigenes Projekt durchzusetzen? Das wäre der Weg in den Bürgerkrieg oder, schlimmstenfalls, zur Teilung des Landes. Genau das ist 1988 nach den Aufständen in Algerien und der Einsetzung eines „demokratischen“ Regimes passiert.“ Seine persönliche Einschätzung ist, dass sich kurz- und mittelfristig gar nichts ändern wird außer einigen Korrekturen an der Fassade. Denn in der ganzen arabischen Welt hat sich bisher noch niemand vom traditionellen Diskurs gelöst und die Autonomie des eigenen Landes und die Vorherrschaft der Demokratie beschworen.“

(Ebd. DIE WELT vom 09.02.11 Boualem Sansal Das Problem heißt Islam aus dem Französichen von Rainer Haubrich Essay)
Für eben genau diese Art von eigenständiger Denke, seinen ungebrochenen Widerspruchsgeist und Mut im Land, am Ort der Kritik, da zu bleiben fortwährend Standpunkte und Positionen zu vertreten, die Generationen von Autoren Grund genug geliefert hätten, vorsichtshalber ins Exil zu gehen – nicht zuletzt dafür erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2011.

Lesenswert ist jedoch nicht nur sein letzter Roman «Das Dorf des Deutschen», erschienen 2008; aufmerksam machen wollen wir hier auch besonders auf sein politisch wohl bislang aufschreiendstes Werk, den Essay «Postlagernd: Algier», erschienen 2006, welches (2008). ebenfalls auf Deutsch erschien. Zur Zeit wird gerade sein jüngster Roman über einen Ort seiner Kindheit, «Rue Darwin», erschienen im August 2011, ins Deutsche übersetzt.

Boualem Sansal – mutiger Rebell, virulenter Autor, Systemkritiker, ein Vermittler der Kulturen. Er ist auf der Suche nach Vielfalt, dem Bunten, lehnt die Vereinheitlichung in das Einerlei von Grau in Grau oder auch Camouflage des Militärs ab: Er ist ein durch und durch Demokratie bewegter Intellektueller, der die heute im Ausland lebenden Intellektuellen Tunesiens und Ägyptens jetzt ermahnt, wieder nach Hause zu kommen, um mit dabei zu sein, die Bewegung des Volkes dabei zu unterstützen, das Schicksal ihrer Länder selbst in die Hand zu nehmen, und, dabei zu helfen die gestürzten Diktaturen jetzt wirklich umzugestalten um nun wirklich der Demokratie den Weg zu bereiten.
© M. Dittrich-Lux 20.10.11 Deutsches Theater, Boualem Sansal mit Lesung aus: „das Dorf des Deutschen“ und einer Podiumsdiskussion zu Gast in Berlin.

Anmerkung der Verfasserin:
Auch die neuen Medien wie Internet, Internet Radio und Internet TV sollte man nicht vernachlässigen, um Sansals Werke einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und – vor allem gerade auch dort, wo sie verboten sind – bekannt zu machen.

2 Kommentare

  1. Klasse Schriftsteller, er hat das preise Frankfurt Bücher Messe gut verdient. Bestimmt, sein erfolg in Europa(viele anhören gefunden hat), bedeutet nicht auch in sein Heimatland so gesehen wurde. Weil in Algerien islamisch System herrscht(Moschee ist über uns alle, Alah ist grosse als Evariste Berge Spitz, 10km ) , außerhalb Koran, alles was mit lesen und verstehen zu tun und schritt nach vorn machen ist unwichtig . Anfang neunzige Jahre sind viele manschen mit großem potentiell intelleckt umgebracht oder im Exil gezwungen(Djaout, Mimouni, Maatub, kleber von djaha,, Makbel,, die liste ist lang, so ist unser Nette Algerien nach Zeit krieg )

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