Brahim Oubaha, Vertreter der berberischen Demokratiebewegung zu Gast in Deutschland

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Brahim Oubaha
Brahim Oubaha

Hallo Brahim, kannst du dem Leser vielleicht zu allererst etwas über dich und deine Arbeit erzählen?

Ich bin Brahim Oubaha, 22 Jahre alt und aus Agadir in Marokko und studiere Germanistik und Übersetzung im 9. Semester. Seit langer Zeit beobachte ich die Politik in meiner Heimat und die Beziehung zu Ländern des Mittelmeerraumes, nehme aktiv an Versuchen zur Verbesserung der Situation der Menschenrechtslage teil. Mit meinen Kommelitonen habe ich unterschiedliche Vereine gegründet, die sich für die Forderung nach Freiheit, mehr Demokratie und interkultureller Kommunikation einsetzen, wie der Timatarin Verein (2009) und der Deutsch-Marokkanische Verein für kulturellen Austausch und Zusammenarbeit (2010) in Agadir.

Unser Verein organisierte bereits mehrere kulturpolitische Veranstaltungen mit Liedermachern, FrauenrechtlerInnen und Akteuren. Alles ohne staatliche Mittel. Auch in anderen zivilgesellschaftlichen und politischen Vereinen bin ich in ganz Marokko aktiv. Dazu gehören das nordmarokkanische Forum für Menschenrechte in Tanger und die Izerfan-Stifung in Casablanca. Auch habe ich die 20. Februar Bewegung damals mitbegründet, eine Demokratiebewegung der jungen Leute. Zu unseren Plänen gehört die Gründung einer neuen Partei in Marokko, die „Marokkanische Partei für Demokratie und Moderne“.
Bei tamurt.info bin ich als Redakteur tätig und schreibe Artikel auf deutsch, arabisch und berberisch. Neben tamurt.info auch für verschiedene Online-Zeitungen. Beim Timatirin Magazin für interkulturelle Kommunikation bin ich als Chefredakteur aktiv.

Brahim, wie sind deine ersten Eindrücke in Deutschland?
{Durch mein Deutschstudium habe ich ohnehin viel mit Deutschland zu tun und natürlich auch schon viel darüber gelesen. Und zwar in vielen Bereichen der Literatur, Kultur, Geschichte, Politik, und Menschenrechte. Für mich ist dieser Besuch eine kostbare Gelegenheit alles, was ich schon gelesen und kennengelernt habe, einmal aus der Nähe zu betrachten.
Was mich hier fasziniert, ist, dass man die Geschichte und die Ereignisse noch erleben kann. Wie zum Beispiel den Mauerfall oder überhaupt die DDR.}

Wie meinst du das, wenn du sagst „Geschichte erleben?“
Sowohl im Kollektiven Gedächtnis, als auch als sichtbare Fragmente wie Mauerteile, aber auch Ausstellungen und Dokumentationen. Das finde ich interessant, um den jüngeren Generationen zu zeigen, was in der Vergangenheit passiert ist, um zu wissen, dass Deutschland nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern eine lange Geschichte hat, um sich so zu entwickeln, wie es eben heute ist. Man sagt ja auch, dass wenn man, wenn man keine Geschichte hat, auch keine Zukunft hat.

Wie lange wirst du nun hier bleiben und was sind deine Pläne für diese Zeit?
{Insgesamt bleibe ich sechs Wochen hier in Deutschland. Zwei Wochen habe mir Zeit genommen, Land und Leute kennenzulernen und Freunde und Kollegen zu treffen. Danach beginnt ein vierwöchiges Stipendienprogramm, welches einen Einblick in das parlamentarische System und die Arbeit des wichtigsten deutschen Verfassungsorgans gewähren soll. Der Themenschwerpunkt liegt in diesem Jahr bei den Wahlen.}

Aber ist die Deutsche Bundestagswahl denn interessant für euch als Thema?
Ja, durchaus. Besonders, wie die Parteien den Wahlkampf gestalten, ihre Programme, um die Leute für sich zu gewinnen. Aber auch für uns als Marokkaner, ist das sehr wichtig aus der Nähe zu betrachten, wie der Wahlkampf abläuft und nach welchen Kriterien die Kanzlerkandidaten ausgewählt werden. Auch ist interessant einen Vergleich der Wahlen in Deutschland und Marokko, aber auch den arabischen Ländern anzustellen. Je demokratischer die Wahlen in einem Land sind, desto schneller kann es sich auch in jeder Hinsicht entwickeln. Leider sind in unseren Ländern die Wahlen nicht frei: es wird manipuliert, es gibt Wahlbetrug, Wählerstimmen werden gekauft, was natürlich in armen Ländern sehr einfach ist. Die meisten Parteien haben kein klares Programm für Marokko.
Ein sehr interessanter Punkt ist, dass einige Parteien nicht zugelassen werden, wofür es eigentlich keinen ersichtlich Grund gibt. So wollen zum Beispiel die Berber (Masiren) in Marokko seit langer Zeit eine Partei gründen. Jenes wurde nicht zugelassen, weil das Innenministerium keine ethnische Partei zulassen wollte. In ihren Zielsetzungen kamen allerdings überhaupt keine ethnischen Themen zur Sprache. Es war lediglich der Name, der ethnisch war.

Die meisten Parteien in Marokko haben hingegen sowieso ethnische und religiöse Ziele, wie etwa die Arabisierung und Islamisierung der marokkanischen Bevölkerung.
Die Berberbewegung arbeitet seit jeher und auch bis heute ausschließlich zivilgesellschaftlich. Zuletzt haben einige von ihnen gefordert eine echte Veränderung im Land durchzusetzen. Dazu müssten sie aber offizieller arbeiten mit einer Parteigründung, jenes wurde ihnen aber wie ich ja oben erwähnte, versagt und so befinden wir uns in einem Teufelskreis.

Wie willst du nach deiner Deutschlandreise dein Wissen in und für Marokko nutzen?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das deutsche politische System für uns ein gutes Beispiel in Europa ist. Wir möchten deshalb von Euch lernen und viel erfahren. In Marokko fehlt es uns an Ausbildung in demokratischen Prozessen. Ich weiß, dass eine Demokratie nur dann eine wirkliche Demokratie werden kann, wenn die Menschen von funktionierenden Demokratien anderer Länder lernen können. Ich möchte direkt vor Ort lernen, z.B. wie Wahlen funktionieren. Die Hälfte der Bevölkerung kann bei uns kann weder lesen noch schreiben und daher ist alles hochmanipulativ.

Ich als Übersetzer möchte das deutsche politische System ins Arabische und Berberische übersetzen, weil die Menschen in Marokko noch nicht so viel über Deutschland wissen. Insbesondere Informationen über das demokratische System. Übersetzung nimmt eine wichtige Rolle für die Veränderung und den demokratischen Prozess in meinem Land ein. Deutschland ist sehr wichtig für mich, ich möchte das Gelernte nach meinem Aufenthalt direkt in meinem Heimatland verbreiten und umsetzen. Ich finde dieses Programm eine geniale Initiative vom Bundestag und es ist besser Leute in undemokratischen Ländern zu bilden, als später Bomben zu werfen, wenn alles schon aus dem Ruder gelaufen ist. Man kann diese Problem ja in einigen Ländern südlich des Mittelmeeres sehen.

Was verbesserungswürdig ist, ist der Name des Programms, denn viele Stipendiaten der Teilnehmerstaaten sind NICHT arabisch, sondern kurdisch, persisch, oder wie ich zum Beispiel berberisch, auch wenn ihr Land offiziell arabisch ist. Aber dafür bin ich ja auch hier, um den Menschen hier von meiner Kultur zu berichten, denn man kann ja auch von mir etwas lernen.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, um uns ein bisschen von dir und deinen Plänen zu berichten. Wir wünschen dir viel Erfolg für deren Umsetzung und Tamurt.info wird natürlich darüber berichten.
Pass auf dich auf!
Mich hat es auch gefreut, dass wir uns wiedergesehen haben und dass ich hier meine Sicht der Dinge darlegen konnte.

Das Interview führte: Uli Rohde für Tamurt.info

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