Ein junger litauischer Tenor singt an Hamburgs Staatsoper – Mindaugas Jankauskas im Interview

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Die Staatsoper Hamburg
Die Staatsoper Hamburg

Uli Rohde: Hallo Mindaugas, schön, dass du heute Zeit hast, mit „Tamurt.info“ über dich zu sprechen.
Mindaugas Jankauskas: Hallo Uli, ja ich freue mich auch.

Uli Rohde: Du kommst aus Litauen und arbeitest derzeit in Hamburg, wie gefällt dir Deutschland und dein Leben hier?
Mindaugas Jankauskas: Es ist ein ganz anderes Leben hier in Hamburg. Andere Menschen, anderes Denken, andere Kultur, aber irgendwie fühle ich mich sehr wohl hier. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich vor Jahren schon mal für ein Jahr hier gelebt habe. Damals als FSJ-ler (Anmerkung der Red.: FSJ = freiwilliges soziales Jahr) in einer katholischen Gemeinde.

Uli Rohde: Du singst ja gerade in der Hamburger Staatsoper in „ Der Kaiser von Atlantis“ von Victor Ullmann mit, einer Oper, in der es mal nicht nur um so banale Themen wie Liebe geht, auch wenn es natürlich auch darum geht, und du ja mit Bubikopf sogar die Liebesszene spielst. Kannst du uns ein bisschen davon erzählen, worum es da geht?
Mindaugas Jankauskas: Ja, das stimmt, es ist eine besondere Oper, weil das Thema sehr ernst ist und es ist interessant, dass nicht nur gesungen wird. Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ hat eine Entstehungsgeschichte und Überlieferung mit einen absoluten Einmaligkeitswert: Ullmann komponierte diese Partitur im sicheren Wissen um seinen eigenen Tod im Konzentrationslager. Als jüdischer Komponist ins nationalsozialistische „Vorzeigelager“ Theresienstadt interniert, schrieb er die Opernpartitur im Jahr 1943 mit Wissen der Lagerleitung, die zu Propagandazwecken den Inhaftierten selbst organisierte Konzerte und Theateraufführungen erlaubte. So entstand diese Kammeroper auf den Text eines Mithäftlings, Peter Kein. Dieses Werk ist eine Parabel auf die politische Situation Deutschlands, den Krieg und die besonderen Verhältnisse im Konzentrationslager. Es ist aber auch ein gleichnishaftes Mysterienspiel wie schon der Titel zu verstehen gibt: Der Tod verweigert sich den Menschen angesichts der politisch-sozialen Realität, die Menschen können nicht mehr sterben.

Die Lagerleitung bemerkte, was in Wirklichkeit hinter dieser Oper stand und so kam es nur zu Generalprobe. Ullmann übergab die Partitur und das vorhandene Notenmaterial einem Mithäftling, als er im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. So überlebte – eher zufällig – diese Komposition.

Uli Rohde: Ullmann schrieb ja, wie du selber auch eben angemerkt hast, seine Oper im KZ Theresienstadt im Angesicht des Todes. Denkst du viel über diese Menschen und das Unrecht nach, wenn du dich jeden Tag damit beschäftigen musst? Oder schaltest du abends ab?

Mindaugas Jankauskas: Natürlich nimmt man da was mit nach Hause, aber ich denke natürlich nicht permanent darüber nach. Das wäre ja auch irgendwie nicht professionell. Für mich ist aber interessant, dass Litauen ja eine ganz ähnliche Geschichte hat. Im und auch nach dem zweiten Weltkrieg und während der Okkupation durch Russland wurden Litauer in Lagern interniert und nach Sibirien verschickt. Viele Menschen kamen nie zurück. Die Deutschen sprechen von Auschwitz und für mich sind es eben die Geschichten aus Sibirien, in denen es ähnliche Verhältnisse gab und von denen uns immer erzählt wurde und auch heute noch erzählt wird.
Ich bin sogar mit einer Familie befreundet bei der die Mutter im Viehtransportwaggon auf dem Weg nach Sibirien geboren wurde. Damals wollte niemand glauben, dass das Mädchen überlebt. Wenn sie diese Geschichte erzählt, treibt es ihr bis heute die Tränen in die Augen.

Uli Rohde: Du kommst ja aus einem Land, das jahrelang, wie du selbst eben anbrachtest, von den Russen okkupiert wurde. In welcher Weise hat dich das geprägt? Was ist dir im Gedächtnis geblieben und was konstatierst du daraus für dein Leben?

Mindaugas Jankauskas: Ich war noch Kind, als ich diese Okkupation miterleben musste. Als ich so etwa zehn war, war Litauen dann frei. Ich erinnere mich genau an meine Grundschulzeit. Damals waren wir okkupiert und es gab auch ein Religionsverbot. Meine Familie ist aber sehr gläubig und so sind wir trotzdem in die Kirche gegangen.
Irgendwann fragte meinen Lehrerin in der Schule, wer am Sonntag in der Kirche war. Ich und noch drei weitere standen auf. Sie sagte, dass heute Mittag eine Kommission käme und wenn diese die gleiche Frage stellt, dann müssen wir unbedingt sitzen bleiben. Ich weiß bis heute nicht, was die Konsequenz gewesen wäre, aber ich bin ihr für ihr couragiertes Handeln dankbar. Meiner Familie wurde so vielleicht Schlimmeres erspart.

Wenn man nicht systemkonform war, konnte man nicht studieren. War man nicht bei den Pioniergruppen, konnte man vielleicht Schlachter oder Bäcker sein, aber eine höhere Laufbahn war damit ausgeschlossen. Viele sind deshalb auch gegen ihre Überzeugung diesen politischen Gruppen beigetreten.

Einmal sollten wir in der Schule die russische Hymne, die man ja auch heute noch kennt, mit litauischem Text lernen. Meine Familie hat mir das aber verboten. Damals als Kind habe ich das noch nicht so verstanden und ich habe geweint, als ich eine schlechte Note bekam.
Um auf den zweiten Teil deiner Frage zu antworten: Das ist übrigens keine leichte Frage, was ich für mein Leben aus dieser Zeit ziehe: Ich möchte zum Beispiel nie wieder für Essen anstehen müssen. Ich genieße es heute vor Weihnachten einfach in den Supermarkt zu gehen, um Mandarinen zu kaufen, ohne vier oder fünf Stunden dafür anstehen zu müssen. Das ist obendrein noch sehr ineffektiv. Durch mein Leben in der Okkupation weiß ich, wie es ist unfrei zu sein, weiß ich meine eigene Freiheit daher vielleicht anders zu schätzen. Ich kann reisen wann und wohin ich möchte.

Für meine deutschen Freunde ist das schwer zu verstehen, denn den jungen Menschen fehlt es hier eigentlich an nichts. Für mich ist aber auch Presse- und Religionsfreiheit etwas sehr wichtiges. 2004 habe ich das Programm „Zodzio Kelias – Weg des Wortes“ – mit dem Schauspieler Egidijus Stancikas ins Leben gerufen, das sogar in 10 litauischen Gemeinden in den USA aufgeführt wurde. Von 1864-1904 hatte der russische Zar verboten Litauisch zu Schreiben und zu Lesen. Es gab keine Bücher und wir mussten litauische Wörter mit kyrillischen, also den russischen Buchstaben schreiben. Das gab es niemals zuvor und war irgendwie absurd.

Aber es wurden immer auf irgendeinem Weg Bücher geschmuggelt, teilweise in Särgen unter den Toten und auf anderen skurrilen Umwegen. Die Litauer haben also immer weiter in ihrer Sprache gelesen. Der Zar merkte nach 40 Jahren, dass sich eine Sprache nicht einfach so unterdrücken lässt und hob 1904 das Presseverbot wieder auf.

Uli Rohde: Das sind ja interessante Einblicke, die du uns da aus deinem Leben gibst. Erlaube mir die Frage, was für dich Kultur bedeutet.

Mindaugas Jankauskas: Kultur ist sehr wichtig, ohne Kultur können wir nicht leben. Gerade in meinem Beruf, wird man ja täglich damit konfrontiert und ich könnte mir ein Leben ohne Kultur nicht vorstellen. Das Wort Kultur ist ein weiter Begriff und daher schwer für mich zu fassen, aber selbst die Art wie wir Essen, Sprechen und uns Benehmen ist von Kultur geprägt und beeinflusst. Ferner verbinde ich mit Kultur natürlich auch die Oper, das Theater und bestimmte Feste wie Ostern und Weihnachten. Das ist doch irgendwie wichtig für unser Dasein als Menschen.

Uli Rohde: In Algerien in der Kabylei gibt es Menschen die nicht so frei sind wie ihr heute. Ihre Kultur wird marginalisiert. Was denkst du darüber?

Mindaugas Jankauskas: Ja, ich habe von ihnen gehört, allerdings erst hier in Deutschland. Es ist erschütternd, was dort mit diesen Menschen passiert und die Welt schaut einfach zu, oder besser gesagt, sie schaut einfach weg! Die Geschichte der Kabylen weist sehr viele Parallelen zur litauischen Geschichte auf und vieles was ich hörte, war mir daher schon bekannt. Ich denke es ist sehr wichtig, dass diese Zusammenhalt finden. Genau wie wir damals. Ein Mensch allein kann nichts bewirken, aber wenn alle an einem Strang ziehen, kann man vielleicht etwas erreichen. Es ist wie in Litauen damals. Vor dem Umbruch wollten alle Litauer – ohne Ausnahme – die Freiheit für ihr Land.
Es gab diesen „Weg der Hände,“ bei dem sich weit über eine Millionen Einwohner des Baltikums von Vilnius bis Tallin, eine Strecke von 650 Km an die Hand nahmen.

Später haben Sie auch gekämpft. Es gab 13 Märtyrer. Einige wurden von Panzern überrollt, andere erschossen.
Und irgendwann war Litauen dann endlich unabhängig. Die Litauer sind heute ein sehr patriotisches Volk und bewahren ihre Kultur und bei jeder Gelegenheit singen wir unsere Nationalhymne. Ich persönlich mag Patriotismus und das ist ewas, was ich bei den Deutschen etwas vermisse. Ich finde, sie können stolz sein auf ihr Land und auf ihre Kultur. Aber irgendwie wurde den Deutschen abgewöhnt stolz zu sein, das habe ich hier schon gelernt.

Zurück zu den Kabylen kann ich nur sagen, dass es schrecklich ist, dass die Menschen in ihrem eigenen Land ihre Kultur nicht ausleben können und sie an den Rand gedrängt werden und es wäre schade, wenn diese Kultur und diese Sprache stirbt. In Europa ging es ja den Ostpreußen damals so. Ihre Kultur und Sprache ist heute tot.

Uli Rohde: Das stimmt wohl, dass ist ein gutes Beispiel, das auch jedem ein Begriff sein dürfte.
Gibt es etwas, dass du unserem Leser noch mit auf den Weg geben möchtest?

Mindaugas Jankauskas: Ja, ich möchte sagen, dass ganz egal wie sehr man unterdrückt wird, man muss immer an seine Kultur und seine Ideale glauben und darf sie niemals aufgeben.

Uli Rohde: Damit hast du auf jeden Fall Recht. Das sind schöne und auch wichtige abschließende Worte für dieses Interview. Dann bedanke ich mich an dieser Stelle für dieses sehr persönliche und offene Gespräch und wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei deiner Arbeit in Hamburg und anderswo. Weißt du denn schon, wo es für dich als nächstes hingeht?

Mindaugas Jankauskas: Ja, ich spiele im Sommer in einer weiteren Produktion in Deutschland. Das freut mich, denn ich bin gern hier.
Dank gilt an dieser Stelle auch Richard Erkens für seine Mitarbeit an diesem Interview

Uli Rohde

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