"Neutralität" wird sie das Unwort des Jahres 2015?

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BERLIN (Tamurt) – Neutralität und Journalismus – Am 8. Januar veröffentlichte die Tagesschau auf ihrer Homepage „Nous sommes CHARLIE“ des ersten Chefredakteurs von ARD-aktuell Kai Gniffke:

„Als Journalisten sind wir zu strikter Neutralität verpflichtet. Es gehört zu unserem journalistischen Selbstverständnis, dass wir Meinung und Bericht klar trennen – oder, um es mit Hanns-Joachim Friedrichs zu sagen: Wir machen uns mit keiner Sache gemein. Beim Überfall auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ weichen wir davon ab.“

So mancher Journalist mag das oben genannte Zitat als Affront empfunden haben. Besonders den ersten Satz.

Klar sollte allen sein, dass man keine Lügenpresse haben möchten und darin sind wir uns sicher alle einig. Dieser Begriff wurde heute nicht umsonst von Sprachwissenschaftlern in Darmstadt zum Unwort des Jahres erklärt. Allerdings sollte man mit dem Begriff der „Neutralität“ auch vorsichtig sein. Nicht, dass jenes Wort am Ende das Unwort des Jahres 2015 werden könnte.

Die Ethnologie war auch Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte der Meinung, sie wäre neutral, dabei war sie alles andere als das und jenes hat sie auch erkannt. Neutralität gibt es praktisch nicht.

Woher haben wir alle eigentlich die Information, dass das Magazin Spiegel eher konservativ, die Welt mitte-rechts, die Bild eher den einfachen Bürger vertritt und die Zeitung „Der Freitag“ linksorientiert sind? Weil alle Journalisten so „neutral“ berichten? So wie die Tagesschau meint, wie Journalisten zu arbeiten haben? Dann könnten sie ja direkt mal damit anfangen. Nur zu oft sind ihre Überschriften reißerisch und die Artikel tendenziös und zwar so, dass sich täglich Foristen darüber beschweren. Von mir aus müssten sie das nicht, nur dann, wenn sie sich die „Neutralität“ eben selbst so groß auf ihre Fahnen schreiben.

Journalismus darf und soll antidemokratisches auch als solches Bezeichnen und darf auch gern Stimmung machen gegen Diktatoren und andere Schergen. Er soll aber natürlich bei der Wahrheit bleiben.

Allein durch die Auswahl ist nichts neutral

Allein schon mit der Auswahl über {was} man berichtet und über was man schweigt, hat man schon seine Neutralität eingebüßt. Neutral hat allenfalls die Wissenschaft zu sein, aber auch die ist all zu häufig von Lobbyisten finanziert und somit alles andere als neutral. Also wäre es besser, wir würden uns von dem Wort „Neutralität“ verabschieden und ganz offen sagen, dass wir eine Strategie verfolgen.

Die Zeitung Tamurt.info bezeichnet sich als ein journalistisch arbeitendes Organ.
Wir berichten über bestimmte Dinge, um zum Missstände aufmerksam zu machen, etwas zu ändern. Aber allein die Auswahl der Themen lässt schon nicht auf Neutralität schließen. Wir möchten auf die Umstände der Masiren in Nordafrika aufmerksam machen. Wir fühlen uns der {Wahrheit} verpflichtet, nicht aber der Neutralität.

Ich habe in meinem Journalismuskurs „Investigative Journalisme“ in Kaunas/ Litauen im Jahre 2007 an der Vytautas Magnus Universität (VDU) bei dem Journalisten Mikolas Drunga gelernt, dass Journalismus eine Position haben sollte, schließlich erzähle man etwas ja aus einem bestimmten Grund. Ich finde er hat recht und ich bin selbst immer dabei geblieben.

Dass die Tagesschau als staatliches Organ andere Pflichten hat als Tamurt.info, die Zeit oder die MOPO ist auch klar, aber sie sollten dann doch bitte nicht im Namen des Journalismus sprechen.

Das Journal Charlie Hebdo kann doch getrost auch als Journalismus bezeichnet werden. Non? Entweder muss man sich dann fragen, warum alle Journalisten so tief getroffen sind oder man muss sich fragen, ob Neutralität eben doch kein Markenzeichen des Journalismus ist, schließlich ist der laizistische, ja atheistische Charakter bei Charlie Hebdo nicht zu leugnen, oder ist da jemand anderer Meinung? Na also: Da haben wir es doch. Journalismus ist nicht neutral und will es auch gar nicht sein. Wäre doch schlimm, wenn Journalisten keine Meinung hätten oder wohlmöglich nur Über Dinge schrieben, die sie nicht bewegten.

In diesem Sinne freue ich mich auf die neue morgige Charlie Hebdo Ausgabe der hinterbliebenen Redaktion, denn ich mag markanten Journalismus von Menschen, die noch Ecken und Kanten – eine Meinung haben.

Uli Rohde – Tamurt.info

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