„Liberté, égalité et fraternité? Bedeutungsvolle Worte, und ihre Interpretierbarkeit.“
Der 8. Mai ist nicht nur in Deutschland und Frankreich eine Art Feiertag geworden, sondern für ganz Europa. Es ist der Tag, an dem im Jahre 1945 der 2. Weltkrieg endete. In Algerien wäre dieser Tag auch gern ein Feiertag geworden; hatten doch 200.000 Algerier an Frankreichs Seite in Europa gegen das dritte Reich gekämpft, aber, der 8. Mai 1945 wurde in Algerien zu einem Gedenktag. Bereits im Ersten Weltkrieg kämpften ca. 180.000 „Tirailleurs“ auf Seiten Frankreichs, von denen etwa 30.000 ihr Leben ließen.
Die Algerier, die diesen Tag ebenfalls als Tag der Befreiung feiern wollten irrten, denn Frankreich duldete das Hissen der algerischen Flagge in den Städten Algeriens nicht. Stattdessen schoss die französische Kolonialmacht in den Städten Guelma und Sétif in die Menschenmenge, woraufhin es zu Kämpfen zwischen der Kolonialmacht und den Bewohnern Algeriens kam. Offiziellen Angaben zufolge kamen in diesen Tagen 45.000 Algerier zu Tode – ermordet in einem abscheulichen Massaker!
Die Algerier, die ihre Freiheit einforderten, bezogen sich auf jene von den Franzosen formulierten Werte. Im Namen derselben Werte begingen die Franzosen, ohne dabei an ihren demokratischen Fundamenten zu zweifeln, Massenmorde an den berberischen und arabischen Bewohnern Algeriens – natürlich alles nur um des zivilisatorischen Missionswillens. Damit hat Frankreich in seiner Vergangenheit so einiges gerechtfertigt.
Das Thema Algerienkrieg ist nicht neu und vermutlich hat auch jeder seine eigene Wahrheit zu diesem Thema; jede noch so seriös anmutende Quelle ist gefärbt, tendenziös und manchmal sogar fanatisch und jeder zeigt mit dem Finger auf den anderen, keiner will es gewesen sein. Schuld sein an der Situation eines Landes, das sich – wenn man so will – seit Jahrhunderten praktisch in Ausnahmezustand befindet. Frankreich hat eine andere Wahrheit als der Rest Europas, die indigene algerische Berberbevölkerung Algeriens eine andere als die ebenfalls dort lebenden Araber und auch wenn der Krieg lange vorbei ist, so sind bis heute – 48 Jahre nach Kriegsende – die Nachwehen immer noch zu spüren. Die Unabhängigkeit hat neue, scheinbar unüberwindbare Probleme mit sich gebracht. So kämpfen heute die Kabylen, der größte der vier in Algerien lebenden Berberstämme, für ihre Autonomie und um die Anerkennung ihrer Sprache und Kultur. Ebenfalls ein blutiger Kampf.
Die „edlen Werte“ der „zivilisatorischen Mission“ rechtfertigten die Kolonialisierung.
Aber, was ist eigentlich gemeint, wenn die Rede von „zivilisatorischer Mission“ ist?
Frankreich sah sich als Mittler und Vermittler des Wesens der französischen Zivilisation, die als vornehmste aller Zivilisationen galt. Frankreichs Kolonialisierungsbestreben war also durchaus auch „gut gemeint“. Heute wissen wir, dass sich „Gutgemeintes“ durchaus als das Gegenteil „Gutgemachtens“ herausstellen kann.
Die Kolonialisierung war also eher als ein Geschenk zu sehen. Frankreich wollte mit diesem unreflektierten „ethno-zentristischen“ Akt die Welt beglücken, indem es seine vornehme Kultur verbreite. In dieser Kultur sind durchaus erstrebenswerte Bestandteile enthalten wie: „droits de l’homme“ und die bereits erwähnten Werte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ die sich während der französischen Revolution herausbildeten und in der „Déclaration“ niedergeschrieben stehen. Das alles klingt von außen betrachtet ausgesprochen ehrenwert. Es sollte aber unbedingt erwähnt werden, dass die oben erwähnten „droits de l’homme“ keineswegs für alle Menschen galten, hatte doch ein französischer Premierminister erklärt, dass diese Menschenrechte nicht für Schwarze gelten. Stellt sich die Frage, wie sie dann für die indigene kolonialisierte Bevölkerung Algeriens Gültigkeit haben kann.
Bis in das Jahr 1847 führte Frankreich seine Eroberungszüge durch das gesamte Algerien hindurch. Und 1870 war das Land dann endgültig vollständig unter militärischer Kontrolle der Franzosen. Durch die Kolonialisierung waren die Rechte der Algerier stark eingeschränkt. Weder durften sie Versammlungen abhalten, noch ohne Erlaubnis ihre Dörfer verlassen und – obwohl nominell bereits Franzosen – mussten sie ihrem Glauben abschwören, um auch vor dem Gesetz als Franzosen zu gelten.
Nach 1918 gab es einen Kampf um die Unabhängigkeit, der bis 1962 andauern sollte. Zunächst forderten die algerischen Widerstandsgruppen die Unabhängigkeit von Frankreich. Frankreichs wenigstens teilweises Entgegenkommen scheiterte an den französischen Siedlern Algeriens. Auch eine viel versprechende Nationalversammlung im Jahre 1947, in der französische und algerische Abgeordnete zu gleichen Teilen vertreten waren, führte keine Besserung herbei.
Ja, es war ein Krieg – wenn auch spät, aber die Einsicht Frankreichs erfolgte.
Frankreich weigerte sich geradezu bis in diese Tage, die Eskalation des kolonialen Konflikts zum richtigen Krieg einzugestehen. Man sprach stattdessen verschleiernd von „antiterroristischen Kampfmaßnahmen“, „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung“, von „Operationen gegen Rebellen“ oder – besonders verlogen – von „Befriedungs-Operationen“. In Wirklichkeit führte die französische Armee, mit ihrer Ideologie der „mission civilisatrice“ (zivilisatorische Sendung) einen Krieg gegen die algerische Befreiungsbewegung (FLN), aber auch gegen das algerische Volk. François Mitterrand, der französische Staatspräsident von 1981 bis 1995 befand schlicht, „Algerien ist Frankreich. Von Flandern bis zum Kongo herrscht das Gesetz: eine Nation, ein Parlament.“
Bis zur Unabhängigkeit Algeriens im Jahre 1962 kämpften ca. 1,7 Millionen Franzosen im Algerienkrieg gegen die algerische Bevölkerung. Damals gab es noch keine französische Berufsarmee und so dienten unter anderem junge Wehrdienstpflichtige während ihrer 27 Monate dauernden Wehrpflichtzeit auch an algerischer Front. Fast 25.000 französische Soldaten starben, 60.000 wurden verletzt und verstümmelt. Ein bedauernswertes Resultat. Auf algerischer Seite war die Lage noch dramatischer; hier waren über eine halbe Million Opfer zu beklagen. Trotz dieser enormen Opferzahlen durfte lange Zeit das Wort „Krieg“ im Zusammenhang mit Algerien offiziell nicht benutzt werden; man sprach, wie oben erwähnt nur von den „Ereignissen in Algerien“ oder von „der Aufrechterhaltung der Ordnung“ in den drei algerischen Provinzen. Erst im Oktober 1999 beschloss die französische Nationalversammlung, den Begriff „Algerienkrieg“ endlich auch offiziell zuzulassen und wenn man genauer betrachtet, wie in Algerien von französischer Seite gewütet wurde, wäre es ein Hohn und ein Schlag ins Gesicht aller Beteiligten dieses Krieges, den Tatbestand eines Krieges weiterhin zu leugnen.
Die Vorstellungskraft eines Menschen ist kaum ausreichend um zu begreifen was in Algerien passierte, wie viel Leid den Menschen zum Wohle eines europäischen Staates zugefügt wurde; nahm man doch an, dass mit der Kapitulation Deutschlands, das Böse in Europa für immer mit untergegangen sei. Die Welt irrte.
Es war die sozialdemokratische Regierung von Guy Mollet (SFIO) in Frankreich, die der französischen Besatzungsmacht in Algerien sogar freie Hand zum Foltern verschaffte:
„Im Juni 1956, kurz vor der berüchtigten Schlacht um Algier, nahm die Assemblée Nationale Guy Mollets Vorschläge an, die individuellen Freiheitsrechte in Algerien außer Kraft zu setzen und den in Algerien stationierten Gendarmen, Polizisten und Soldaten zu erlauben, „verlängerte Verhöre“, „Zwangsmaßnahmen“ oder „Sonderbehandlungen“ durchzuführen. „Sie ließen uns freie Hand, zu tun, was wir für notwendig hielten,“ bestätigt heute der Ex-General Paul Aussaresses.“
Augenzeugenberichte und veröffentlichte Dokumente lassen keinen Zweifel an der Brutalität, dem Ausmaß und der systematischen Anwendung von Folter offen. Massenvergewaltigungen, Untertauchen in kaltem Wasser oder Exkrementen, und Elektroschocks waren während des Algerienkrieges an der Tagesordnung. Auch in entlegenden Gebieten, in denen es keinen Strom gab, kam die Folter mit Elektroschocks, die so genannte „Gégène“, zum Einsatz. Hier bediente man sich der pedal-betriebenen Stromerzeugung die normalerweise für Radiostationen gedacht war.
Während des zweiten Weltkrieges hatte sich die militante Bewegung „Union Democratique du Manifeste Algérien“ gebildet. Sie erwog den bewaffneten Widerstand. Mit der Gründung der „Front de Libération Nationale“ (FLN) begann 1954 der Kampf gegen Frankreich. Es wurden Anschläge auf öffentliche Gebäude, Polizeiposten und militärische Einrichtungen verübt. Darauf reagierten die Algerien-Franzosen mit Angriffen auf Muslime und Frankreich stationierte bis zu 500.000 Soldaten in Algerien. Einer von ihnen war der im Jahre 2002 verstorbene französische Philosoph Pierre Bourdieu, der – keineswegs freiwillig – sondern nur durch Kritik am System Frankreichs – als Wehrpflichtiger nach Algerien kam. Er hatte Glück und wurde in die ‚Schreibstube’ gesetzt. Während dieser Zeit, hatte er aber trotzdem keine Gelegenheit seiner soziologischen Arbeit nachzukommen. Nach seinem Militärdienst begann er an seiner Schrift „Sociologie de l’Algérie“ zu schreiben, mit der Intention die Menschen auf die tragische Situation und die Realität Algeriens aufmerksam und sie bekannt, greifbar und begreifbar zu machen. Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt und seine Fotoarbeiten finden auch nach seinem Tod bis heute in weltweiten Ausstellungen großen Anklang. Hier spielt nicht nur die Lage der Algerier eine Rolle, sondern auch die der Algerier-Franzosen, die sich als ebenso dramatisch darstellt. Hier spielt neben Themen wie der Entwurzelung etwa Rassismus eine wichtige Rolle. Bourdieu hierzu:
„Ich war betroffen über die Kluft zwischen den Vorstellungen der französischen Intellektuellen von diesem Krieg, davon wie er zu beenden sei, und meinen Eindrücken, dem, was ich mit eigenen Augen sah. (…) Ich wollte nützlich sein, vielleicht nur um mein schlechtes Gewissen einzuschläfern, (…). Ich mochte mich nicht mit dem Lesen von Büchern und dem Gang in Bibliotheken begnügen. In einer historischen Situation, in der in jedem Moment, in jeder politischen Erklärung, in jedem Gespräch, in jeder Petition die gesamte Wirklichkeit auf dem Spiel stand, war es absolut notwendig, selber an den Ort des Geschehens zu gehen und sich ein eigenes Bild zu machen – gleichviel wie gefährlich das sein mochte, und es war gefährlich.“ (Presse / HGB Leipzig)“
Bourdieu hat viele Schriften zum Thema Algerien veröffentlicht und den Krieg dadurch auch von einer anderen Seite beleuchtet; von einer reumütigen französischen Seite.
Der von 1958 bis 1969 amtierende französische Präsident Charles de Gaulle ließ die Algerier zwischen Unabhängigkeit von und Zugehörigkeit zu Frankreich wählen und im März 1962 votierte die Mehrheit der Algerier in einer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit, woraufhin die meisten französischen Kolonialisten den nordafrikanischen Staat Algerien verließen.
Frankreichs Bemühungen um die Wahrheit sind bis heute kümmerlich.
Es ist schwierig als Deutscher sich zu diesem Sachverhalt zu äußern. Die Deutschen möchten auch nicht, dass sie jemand auf Grund der Vergangenheit ihres Landes vorverurteilt und stigmatisiert. Ich stellte ein paar Fragen in ein Algerien Forum im Internet und freue mich, auf diesem Wege eine zweite Meinung präsentieren zu können:
„In Frankreich stößt man auf starkes Unbehagen und Ablehnung wenn die Sprache auf die französischen Verbrechen in Algerien kommt; sie haben es nie geschafft ihre Vergangenheit aufzuarbeiten wie es Deutschland z.B. getan hat, das verursacht dann auch diese Ablehnung gegenüber Algeriern. Diese sind definitiv der dunkle Schatten ihrer – so von ihnen selbst gesehenen – hellen Geschichte. Die „Bösen“ in Europa sind für sie die Deutschen, sie weigern sich wirklich hartnäckig ihre Barbarei in Algerien zur Sprache zu bringen, und diese Ablehnung verursacht meines Erachtens den doch bestehenden latenten Rassismus in Frankreich gegenüber Algeriern.“
Das Thema Amnestie war seit 1962 mit einem allgemeinen gesellschaftlichen Tabu belegt.
„Als die satirische Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ in den achtziger Jahren berichtete, dass der Rechtsradikale Jean-Marie Le Pen als Fallschirmjägerleutnant in Algerien aktiv an den Folterungen teilgenommen hatte, wurde die Zeitung vor Gericht gezerrt und verlor den Prozess in letzter Instanz.“
Soviel zur Pressefreiheit eines Rechtstaates, der nach dem zweiten Weltkrieg gern mit dem Finger auf Deutschland zeigte. Aber Frankreich hatte sowieso ein Problem mit der Pressefreiheit, dass bereits durch die Historie der Presse Frankreichs zu erklären ist. Es ist schon in der Vergangenheit mehr ein Land der schönen Worte, als der Fakten gewesen, gemessen an der angloamerikanischen Presse, die sich seit einiger Zeit allerdings auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Die Opfer kommen zu Wort
Erst seit wenigen Jahren wird in Frankreich offen über die Vergangenheit gesprochen. Immer neue Geschichten kommen ans Tageslicht, da nun über die Schandtaten des französischen Militärs auch öffentlich gesprochen werden darf. Immer mehr Betroffene melden sich zu Wort. Nicht entschädigte Folteropfer in erster Linie, aber auch ehemalige Soldaten, die auf französischer Seite im Algerienkrieg gedient haben, heute eine Reihe von Veteranen, die das Erlebte, das Trauma in 40 Jahren allein mit sich herumtragen mussten, ohne auch nur ein Wort über das Unaussprechliche zu verlieren. Und nicht zu vergessen die Pieds-Noirs, die weißen, aus Frankreich stammenden Algeriensiedler, die 1962 fluchtartig das Land verlassen mussten und die Harkis, algerische Kämpfer auf Seiten der französischen Armee, die weder nach Algerien zurückkehren können, noch in Frankreich Anerkennung finden. Vertreter all dieser Schichten oder auch noch deren Nachkommen versuchen, wo sie nur können, Gehör zu finden.
Trotz dieser Möglichkeiten die Wahrheit zu sprechen trügt der Schein.
Wie halbherzig die Wende der Regierung zur Offenheit in Wirklichkeit ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass Lionel Jospin zwar einigen ausgewählten Wissenschaftlern den Zugang zu den Archiven ermöglichte, sich jedoch weigerte, diese für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich zumachen: So sollen manche dieser Archive sogar noch bis zum Jahre 2060 verschlossen bleiben.
Zum anderen ist in diesem Zusammenhang an die erzwungene Umsiedlung der algerischen Bevölkerung in mehrere tausend Lager zu denken, die mit der Absicht neu errichtet wurden, den Widerstand zu brechen und die Guerillakämpfer zu isolieren. Ihr Schicksal interessiert kaum jemanden.
Die Mittelmehr Union – Versuch der Zurückeroberung oder späte Reue?
Eine andere Frage, die uns in diesem Zusammenhang beschäftigt ist die, was Frankreich mit seiner neuen Mittelmeerpolitik, genauer der Mittelmeerunion erreichten oder bezwecken möchte. Haben wir es hier mit dem Resultat einer späten Reue zu tun, oder versucht Frankreich erneut nach den verlorenen Ländern zu greifen. In Paris kursiert das Bonmot, Sarkozy sehe sein Projekt schon vollendet, wenn er „rund um das Mittelmeer französische Atomkraftwerke gebaut und sie untereinander mit TGV-Schnellzügen verbunden“ habe. Wie wir wissen, steckt in jedem Witz auch ein Fünkchen Wahrheit. Weder in Algerien, noch anderswo stößt Sakorzy auf besondere Zustimmung.
In Algier verglich Sarkozy die angepriesene Mittelmeerunion mit der Europäischen Union und die französisch-algerische Aussöhnung mit der „von Frankreich angebotenen“ Aussöhnung mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Schließt sich nur die Frage an, wer hier eigentlich wem die Aussöhnung anbieten kann, wenn Sakorzy sie schon vergleicht mit der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Da der französische Premier nirgendwo in Europa so richtige Befürworter für seine Atom-Politik finden kann, scheint er sich nicht zu schade zu sein, sich nun an die lange bekämpften Kolonialstaaten zu wenden. Uns sollte klar sein, dass man, ehe man einem solchen Bündnis zustimmt, zunächst einmal die wirklichen Beweggründe ans Tageslicht bringen muss.
Er sprach von einer Kultur des Mittelmeerraumes und von der Aufgabe der Unternehmen, nach dem Vorbild der Montanunion an der Mittelmeerunion mitzubauen. Und er nannte es einen „Beweis für Frankreichs Vertrauen in Algerien“: die Atomkraft-Kooperation.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht in dem Plan Sprengstoff für die Europäische Union und warnt, die EU könne „in ihrem Kernbereich zerfallen.“
Mit großem Pathos appellierte Sarkozy an „alle Völker des Mittelmeers,“ um gemeinsam den „Traum von Frieden und Zivilisation“ wahr werden zu lassen. Mit dem Fernziel einer politischen Union – und als Nahziel die Erneuerung der „politique arabe de la France.“ Bei Sarkozys Reisen nach Tunesien und Algerien, wurde vor allem die Aussicht auf Zugang zu französischer Nukleartechnologie aufmerksam registriert und begrüßt. Des Weiteren kamen Themen wie Kooperation bei der Kontrolle illegaler Einwanderer und Geschäfte für französische Unternehmen.
Man wird den Verdacht nicht los, dass Frankreich hier schon wieder nicht aus selbstlosem Altruismus handelt, sondern vielleicht einzig und allein finanzielle Interessen eine Rolle spielen.
Die Algerier warten auf eine Entschuldigung.
Am 4. Dezember vergangenen Jahres hatte Sarkozy zum Auftakt seines dreitägigen Algerien-Besuchs das Kolonialsystem als „zutiefst ungerecht“ dargestellt, sich aber nicht ausdrücklich entschuldigt. Die Handlungen die der Vergangenheit angehören, seinen nach seinen Worten nicht mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – den drei Grundwerten der französischen Republik – vereinbar. „Schreckliche Verbrechen während des gesamten Unabhängigkeitskrieges“ haben Opfer „auf beiden Seiten gefordert“, so Sarkozy. Er wolle „alle Opfer ehren“.
Algerien wartet hingegen immer noch auf eine formelle Entschuldigung seitens Frankreichs wegen der Kolonialzeit (1830-1962) die bisher noch nicht erfolgte. Dieser Umstand belastet seit Jahren die Beziehung zwischen den Ländern. Bereits unter der Regierung Jaques Chiracs scheiterte die Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen Algerien und Frankreich. Nun hatte sich aber Sakorzy, an dem es eigentlich lag sich im Namen seines Landes zu entschuldigen folgenden Fauxpas geleistet:
„Das Drama Afrika ist, dass der afrikanische Mensch nicht genug in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Ideal das Leben in Einklang mit der Natur ist, kennt nur die ewige Wiederkehr der Zeiten, deren Rhythmus die pausenlose Wiederholung der immergleichen Zeichen und Worte ist. In dieser Vorstellung, in der ständig alles von neuem beginnt, gibt es keinen Platz für die Ideen des Fortschritts oder das Abenteuer der Menschheit. In diesem Universum (…) streckt sich der Mensch nicht der Zukunft entgegen. Niemals kommt ihm die Idee, sich diesen Wiederholungen zu entziehen, sich ein Schicksal selbst zu wählen.“
Mit diesen schon stigmatisierenden und rassistischen Bemerkungen über vermeintliche Unbeweglichkeit Afrikas und die Erklärung von „Unterentwicklung“ hat Nicolas Sarkozy Furore gemacht. Ist hier nicht immer noch das ethno- und eurozentristische Weltbild der Kolonialzeit wieder zuerkennen. Diese Idee des Geschenks durch die Bereicherung der französischen Kultur? Diese möglicherweise etwas unüberlegten Worte Sakorzys, die er am 26. Juli 2007 an der Cheick-Anta-Diop Universität in Dakar über seine Lippen kamen, sorgten für Furore und hat nicht nur zu massiver Kritik durch afrikanische und französische Intellektuelle geführt. Irgendwie mag man bei solcher Einstellung nicht glauben, dass Frankreich hier irgendetwas bereut oder in Zukunft nur noble und altruistische Absichten in Bezug auf Algerien hat.
Zu guter Letzt
Das Thema Algerienkrieg hat es nicht verdient in einem Artikel wie diesem abgehandelt zu werden. Viel zu komplex sind die Umstände, viel zu verfahren die Situation. Es sind die heute noch stattfindenden Terroranschläge und Morde, die zum täglichen Leben des Landes gehören, die Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen, die es in vielen ehemaligen Kolonialgebieten gibt, nicht nur in Algerien. Niemand kann etwas ungeschehen machen, auch mit dem größten Bestreben nicht. Dennoch soll dieses Land an einem Tag wie diesem nicht vergessen werden.
Übrig bleibt ein trauriges Bild eines Landes, dessen Geschichte es wert ist, sie zu kennen. Ein Land indem es durch die kulturelle Vielfalt vieler Berberstämme, der Araber und der Europäer, viel ungenutztes kulturelles Potential gibt, doch bei aller Hoffnung, gescheiterten Befriedungs-versuchen und Entschuldigungen mag man kaum glauben, dass dieses Land jemals zum Frieden finden wird. Zu tief sitzt vielleicht die Feindschaft, die Angst, und ein Ohnmachtsgefühl und vielleicht schon eine eingestellte Opferhaltung, die in einem deutschen-algerischen Internet Forum nachzulesen war. Doch, bei allen Opfern, die es auf beiden Seiten gegeben hat; stirbt bekanntlich die Hoffnung zuletzt.
von Uli Rohde, Paris
Referenzen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liberté Stand:22.04.2008, 00:08
Oberdorfer Katrin: „Das System funktioniert“* Die Ideologie der Folter am Beispiel Algerien und Irak“ in: Perspektive Süd. Zeitschrift für eine internationale Diskussion.
http://perspektive-sued.net/ausgabenr4/nr4oberdorfer.htm Stand: 06.06.2008 13:11
Intemann, Gabriele: „Dierke Länderlexikon“ (2. Auflage); Westermann Braunschweig 2004.
Walther, Rudolf: „Nach 40 Jahren: Frankreich gesteht den Algerienkrieg“, Frankfurter Rundschau, 14.6.99 http://www.algeria-watch.org/artikel/algkrieg.htm Stand: 29.04.2008 22:24 MEZ
http://www.wsws.org/de/2001/mar2001/alge-m28.shtml Stand: 29. April 2008 15:06 MEZ
Von Marianne Arens und Françoise Thull_28. März 2001 Folter im Algerienkrieg (1954-62) Die Rolle der französischen Armee – damals und heute
http://www.wsws.org/de/2001/mar2001/alge-m28.shtml Stand: 29. April 2008 15:06 MEZ
http://www.wsws.org/de/2001/mar2001/alge-m28.shtml Stand: 29. April 2008 15:06
http://www.art-in.de/incmeldung.php?id=1121 Stand: 28.05.2008 14:14
„Pierre Bourdieu in Algerien“ – Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (27.04.-27.05.06) http://www.art-in.de/incmeldung.php?id=1121 Stand: 28.05.2008 14:14
http://www.algerien-forum.de/thema.php?id=45479
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Chalaby, Jean K.: „Journalism as an Anglo-American Invention: A Comparison of the Development of French and Anglo-American Journalism, 1830s-1920s“ in European Journal of Communication 1996; 11; 303
http://ejc.sagepub.com/cgi/contend/abstract/11/3/303
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Hénard, Jacqueline: „Frankreichs Traum von Grösse und Geschäften.“ In: Tagesanzeiger.ch, 20. Mai 2008
http://www.algeria-watch.org/de/artikel/2008/frankreichs_traum.htm Stand 24.05.2008 19:44
Keine Autorenangabe: „Sarkozy kann Algerien nicht versöhnen“
Kurier.at, 04. Dezember 2007
http://www.algeria-watch.org/de/artikel/2007/nicht_versoehnen.htm Stand: 02.06.2008 19:31
Allocution de M. Nicolas SARKOZY, Président de la République, prononcée à l’Université de Dakar. Dakar, Sénégal, le 26 juillet 2007
http://www.elysee.fr/elysee/root/bank/print/79184.htm Stand: .06.06.2008 12:23 in: Schlichte, Klaus: „Ein schillerndes Verhältnis – Moral in der französischen Afrikapolitik.“
http://www.das-parlament.de/2008/21/Beilage/006.html Stand: 06.06.2008 19:30
Schlichte, Klaus: „Ein schillerndes Verhältnis – Moral in der französischen Afrikapolitik.“
http://www.das-parlament.de/2008/21/Beilage/006.html Stand: 06.06.2008 19:30
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