Sozialwissenschaftler Lothar Klouten über Demokratie

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Lothar Klouten
Lothar Klouten

Tamurt.info: Könnten Sie sich kurz vorstellen ?
Lothar Klouten: Mein Name ist Lothar Klouten. Ich bin ein 54 Jahre alter Sozialwissenschaftler, Historiker und Pädagoge. Viele Jahre habe ich im politischen Management gearbeitet: Zwei Jahre als Assistent des Bundestagsinnenausschussvorsitzenden, dann 15 Jahre als Geschäftsführer bei der SPD Nordrhein- Westfalen. 2005 bin ich aus der SPD und dem politischen Management ausgestiegen, weil ich dort Vieles nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte.

Ich bin ein politischer Mensch, heute bei der Piratenpartei aktiv. Und schreibe in der Web-Zeitung www.buergerstimme.com – und Bücher. Bücher von mir sind z.B. in der Library of Congress in Washington.
Über private Kontakte nach Tunesien begann ich vor mehreren Jahren, mich intensiv für Kultur, Geschichte und Politik „arabischer“ Länder insbesondere im Mittelmeerbereich zu interessieren. Heute habe ich insbesondere enge Kontakte zur Syrischen Demokratiebewegung.

Tamurt.info: Wie sehen Sie die politischen Veränderungen in den nordafrikanischen Ländern nach den Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen?
Lothar Klouten: Eine Revolution ist nach meinem Verständnis eine zeitlich begrenzte Phase schneller gesellschaftlicher Evolution. Das bedeutet auch: Ist mit einem Wechsel von Köpfen an der Staatsspitze auch ein realer Wandel der Gesellschaft zu Menschenwürde und Demokratie im Wortsinn von Volksherrschaft verbunden? Eine Wahl bedeutet allein noch keine Demokratie. Zu den zentralen Erfahrungen aus der Geschichte zählt: Wenn Menschen sich organisieren, dann haben sie die Chance ihr Land und damit ihr Leben positiv zu gestalten: Das ist Demokratie. Dabei gilt es, dass diese Menschen sich nicht beirren lassen. Und sich nicht einreden lassen, dass Einzelne keine Chance hätten Einfluss zu nehmen. In diesem Sinn haben die Menschen in Tunesien, Ägypten und Lybien ihre Revolutionen erst begonnen. Und die Menschen in den anderen arabischen Ländern haben die Chance, ihre Revolutionen umzusetzen: Menschenrechte und Demokratie in Verbindung mit Rechtsstaatlichkeit so umzusetzen, dass sie nachhaltig Bestand haben. Dies als Basis für eine friedliche gute Zukunft aller Menschen.

Tamurt.info: Wie sehen Sie die Aufgabe junger Menschen in der Politik?
Lothar Klouten: Junge Menschen zeichnet aus, dass sie noch bedeutend offener im Denken sind, und mit friedlichen demokratischen Mitteln ihre Gesellschaften mit-gestalten können. Diese Chance zu nutzen bedingt sich zu organisieren. Denn nur als vereinte politische Kraft ist gesellschaftliche Evolution realisierbar. Dabei geht es insbesondere darum die Bedingungen für gesellschaftliche Evolution zu verbessern. Das heißt vor allem die Durchsetzung von demokratischen rechtsstaatlichen Strukturen als Basis für friedliche gesellschaftliche Evolution.

Tamurt.info: Können wir die sogenannte „arabische Revolution“ mit den Studentenunruhen der 68er Bewegung in Europa vergleichen? Welche gesellschaftlichen Bedingungen führen zum Entstehen von Revolutionen?
Lothar Klouten: Alles ist vernetzt und immer im Fluss; das ist das Leben. Die Entwicklung von gesellschaftlichen Bedingungen können zu politischen und sozialen Verwerfungen führen, wenn eine die Macht habende Minderheit die Mehrheit so benachteiligt, dass aus deren Mitte Bestrebungen nach Gerechtigkeit und Teilhabe entstehen. Wenn dann die Minderheit nicht auf diese Bestrebungen eingeht und sie ignoriert, dann entsteht eine revolutionäre Situation. Wenn es dann zu massiven politischen Aktionen kommt, dann ist eine Revolution im Sinne eines kurzfristigen gesellschaftlichen Wandels möglich. Bezogen auf Marokko ist meine Einschätzung, dass sich die gesellschaftliche Situation zuspitzt, aber noch keine politisch wirksame Organisation aus der Mitte der Gesellschaft erfolgt. Das ist – leider – die Chance für Islamisten sich politisch zu etablieren. Und Islamismus ist das Gegenteil von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Tamurt.info: Ich möchte gern wissen, ob die „arabische Revolution“ die Außenpolitik Europas beeinflusst ?
Lothar Klouten: Eine deutliche Parallele zwischen den Studentenunruhen 1968 und den arabischen Revolutionen ist, das beide Bewegungen von der Jugend getragen sind. Es gibt einen wesentlichen Unterschied: 1968 gab es kein Internet und keine Handys und die damit verbundenen Chancen der Digitalität – auch für Demokratie. Also für gesellschaftliche Organisation zur gesellschaftlichen Evolution.

Diese Chance gilt es noch bedeutend konsequenter zu nutzen. Indem z.B. in Marokko eine Web- Plattform etabliert wird, über die alle Menschen in Marokko ihren gemeinsamen Verfassungsentwurf erarbeiten können. Wobei der gesellschaftliche Prozess, der damit entsteht, zu der gesellschaftlichen Organisation führt, die die Basis dafür ist, diesen Verfassungsentwurf dann auch Realität werden zu lassen: Alles ist vernetzt.

Sicher nehmen die „arabischen“ Revolutionen Einfluss auf die Außenpolitik der Europäischen Union und der europäischen Staaten. Auch hier gibt es einen Prozess des Wandels. Aktuell ist die vorrangige Herausforderung, für die große Mehrheit der Menschen in Syrien die Chance durchzusetzen, ihr Land in Freiheit und Würde demokratisch selbst gestalten zu können. Dazu kann es wie in Lybien erforderlich werden begrenzte militärische Gewalt einzusetzen. Unter Führung der Arabischen Liga.

Das Interview führte Brahim Ubaha – Tamurt.info Marokko

3 Kommentare

  1. Demokratie ist nicht im arabischen islamistischen gedenken vorhanden, sonst Algerien wird nach 8 Jahren blutige Kampf(54-62) erste Demokratie(Beispiel) in so kennt gezeichnet ARABISH NATION .
    {{Was heute in dieser Welt abgespielt wurde ( so gennant Arabe Frühling), es ist nicht andres als heiß Luft!(auf Kabylien Sprach dh´awridh umakhssa) }}

  2. Die Idee von Demokratie ist im Koran enthalten. Wenn sie im gelebten Islam nicht ausgeprägt ist, dann dokumentiert dies, dass dieser Islam weniger vom Koran als durch außerkoranische Einflüsse geprägt ist, die zur Legitimation als islamisch ausgegeben werden.

    • Warum sieht den Westen weg wenn es um die Berberproblematik geht?
      Warum beharrt man weiter auf arabischer Fruehling, arabische Welt, usw, wenn es um Nordafrika geht?
      Wenn die sogennanten demokratischen Laender (in EU, USA) schon ein Volk mit zig Millionen Einwohner nicht anerkennt, wer denn?
      Warum hoert man nicht die Hilferufe? Warum interessieren sich die Journalisten nicht dafuer?
      Nehmen wir das Beispiel Kabylei: Ich finde kaum was in den schweren Medien, auch wenn soviel tragisches passiert ist und noch in dieser Minute weiter geschieht (Kidnappings, Brandstiftungen, Terroristen trotz „Militaereinsaetze“. Wieso hat niemand den Mut eine Katze beim Namen zu nennen?
      Ah ya din Qessam!

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