Brahim Oubaha zu Besuch im Bundestag – Ein Rückblick

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Brahim Ubaha
Brahim Ubaha

Hallo Brahim, oder soll ich lieber sagen: Azul a Brahim?
Ich freue mich, dass wir nun nach deinem vierwöchigen Praktikum beim Bundestag resumieren können, was du aus Deutschland mitnimmst.
Es war eine sehr interessante Zeit hier.

Was war für dich irgendwie neu bei deinem ersten Besuch in Deutschland. Was hast du als Quintessenz für dich mitgenommen?
Demokratie bedeutet nicht auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, sondern ist vielmehr ein Prozess, der mit Regeln und Strukturen verbunden ist. Die Demokratie in Deutschland entstammt einer großen Erfahrung, die die Deutschen selbst erfahren mussten. Es gab hier zwei große Kriege, die gar nicht lange her sind und auch die undemokratische Zweiteilung Deutschlands, also die DDR. All das liegt hinter den Deutschen. Aber die Wurzeln der deutschen Demokratie reichen meines Wissens noch weiter zurück. Demokratie ist bei den Deutschen ist ein wirksames Mittel, um die Menschenwürde der Bürger zu garantieren, abgesehen davon, haben Menschen in einer Demokratie weniger Probleme wegen ihrer Herkunft, Minderheitensprachen werden geschützt und Religion kann frei ausgeübt werden. Und auch ist sie ein Mittel um das Leben der Menschen zu verbessern. Sie sollte nicht nur ein Mittel sein, um in der Aussenfassade demokratisch auszusehen, wie in manchen Ländern.

Was war dein Schwerpunkt im IPS-Programm?
Mein Thema war Wahlen und wie gewährleistet werden kann, dass sie demokratisch ablaufen. Auch der Wahlkampf spielte eine Rolle: wie etwa überzeugt man Wähler. Hier in Deutschland arbeiten die Parteien auch sehr eng mit den Bürgern zusammen. Hier kann man sich als ganz normaler Bürger in der Politik engagieren. Die Wahlergebnisse spiegeln außerdem die Realität wieder, nicht wie das bei uns der Fall ist. Bei uns gibt es ein großes Spannungsverhältnis zwischen der Politik und der Zivilgesellschaft. Die Parteien sind bei uns außerdem sehr schwach, sie haben kaum Einfluss und Macht, denn alles wird „von oben diktiert“. Hier in Deutschland gibt es auch immer friedliche Machtwechsel.}

Wie erlebst du das Zusammenspiel zwischen Religion und Staat in Deutschland im Vergleich zu Marokko?
Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wissen, ihre seelischen und religiösen Aktivitäten zu praktizieren, ohne die Religion in der Politik zu benutzen oder sie gar auszunutzen.
Demokratie hat keine bestimmte Definition: Jeder kann nach seiner Auffassung Demokratie definieren – oder man tut dies jedenfalls. – Aber meiner Meinung nach kann man sagen, welches politische Systeme demokratisch ist und welches nicht. Nämlich dadurch, in wieweit sie fähig ist Volksforderungen zu konkretisieren, abgesehen davon, ob sie der Minderheit oder der Mehrheit angehören. Für mich ist klar – und nach diesem Programm vielleicht noch mehr ins Bewusstsein gerückt, dass Demokratie mehr bedeutet, als dass eine Mehrheit eine Minderheit regiert, sondern auch Minderheiten- bzw. Menschenrechte wahren muss. Auch Gleichberechtigung gehört unbedingt dazu. Das mag komisch klingen, dass ich das extra erwähne, aber in meiner Heimat ist das keinesfalls selbstverständlich.

Was soll sich deiner Meinung nach in politischer und religiöser Hinsicht in Marokko ändern?
Für einen demokratischen Wandel in Marokko muss es zunächst eine Säkularisierung geben. Die meisten Parteien nutzen ihren religiösen Einfluss nur, um Macht zu haben. Diese Parteien gehen sehr strategisch vor und sie haben die Gesellschaft gut studiert.

Wo fängt für dich Säkularisierung an?
In meiner Berberkultur hat die Säkularisierung schon eine alte Tradition. Der Imam im Dorf ist nur für die religiösen Belange zuständig. Er ist einer von uns, geht auch mit uns tanzen, feiern und lebt unter uns. Für private Angelegenheiten gibt es einen Schiedsrichter, der die Streitereien im Dorf regelt. Diese finden wir bei vielen Berberkulturen in ganz Nordafrika, wie etwa auch bei den Kabylen. Der Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieu hat darüber ja auch schon in seinen Schriften berichtet. Ich möchte noch am Rande erwähnen, dass ich immer von Berbern spreche, weil der Terminus in Deutschland wenigstens etwas bekannter ist. Die korrekte Bezeichnung wäre Masiren.
Nun aber zurück zu deiner eigentlichen Frage: Im Grunde denke ich, dass das kritische Denken bereits in der Schule beginnen und gefördert werden muss. Man muss auch das Recht zugestanden bekommen, Religion zu hinterfragen, ohne gleich als Ungläubiger dahin gestellt zu werden.

Was ist dein Gesamteindruck, dein Résumé nach Deiner Zeit in Deutschland?
In Deutschland habe ich viele neue Sachen gelernt und auch meine Weltanschauung verändert. Man ist hier in Deutschland nicht so regional und national, man denkt globaler. Das hat mir gefallen. Viele Marokkaner haben auch ein falsches Bild von den Deutschen und Deutschland. Sie denken, dass die Deutschen sehr egoiostisch sind, auch dass sie vielleicht nicht gastfreundlich sind, wie die Marokkaner, aber ich kann nur sagen, dass ich hier sehr herzlich aufgenommen wurde und dafür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bedanken. Auch war alles sehr gut organisiert, aber dafür sind die Deutschen ja auch bekannt.

Brahim, wer hätte gedacht, dass wir uns noch so schnell wieder sehen. Schön, dass du vor deiner Abreise noch Zeit für ein Interview hattest. Ich wünsche dir alles Gute für deine kommenden Projekte in Marokko und für dein Studium. Was hast du als nächstes geplant?
Brahim Ubaha: Ich habe ein paar Projekte für Frauenbildung, aber natürlich auch weiterhin die Rechte der Berber und die Demokratie in meinem Land im Auge.
Ich möchte mich noch einmal bei dir und Tamurt.info für diese interessante Arbeit ganz herzliche bedanken, besonders bei dir Uli. Ich persönlich und auch meine ganzen Kollegen finden, dass es sehr interessant ist, was du für uns machst, besonders im deutschsprachigen Raum über eine vernachlässigte Zivilisation und Kultur zu schreiben.
Tanmmirt, Danke Uli, mach weiter im Kampf für mehr Demokratie, Freiheit und Frieden in der Welt.

Das Interview führte Uli Rohde in Berlin für Tamurt.info

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